Wie sich ein deutsches Startup den Bodeneffekt zunutze macht
Wer genau hinsieht, kann aus der Physiognomie und dem natürlichen Verhalten von Tieren wertvolle Erkenntnisse gewinnen. So fliegen beispielsweise große Seevögel wie Albatrosse und Pelikane oft über große Distanzen nur wenige Zentimeter über der Wasseroberfläche. Auf diese Weise nutzen sie den sogenannten Bodeneffekt aus, der ihnen durch zusätzlichen Auftrieb hilft, wertvolle Energie zu sparen. Eine Strategie, die man sich bei Tandairium zunutze gemacht hat, um eine ganz besondere Drohne zu entwickeln.
Von Jan Schönberg
Wenn es um den Einsatz unbemannter Flugsysteme geht, sind – abgesehen von regulatorischen Herausforderungen – oftmals Tragfähigkeit und Reichweite beziehungsweise Betriebsdauer die limitierenden Faktoren. Während viele Drohnenhersteller versuchen, an dieser Stelle mit zusätzlicher Antriebsleistung, größeren Akkukapazitäten oder „Range Extender“-Systemen für Verbesserung zu sorgen, geht man bei Tandairium einen anderen Weg. Und der Rückgriff auf das physikalische Phänomen des Bodeneffekts hat zudem noch weitere positive Auswirkungen auf das Gesamtsystem und potenzielle Anwendungsgebiete.
Eigenstabil
Aber der Reihe nach. Bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren entwickelte und perfektionierte Günther Jörg eine spezielle Tandemflügel-Konstruktion für manntragende Bodeneffektfahrzeuge. Das Besondere daran: Durch Form und Anordnung stabilisieren sich die hintereinander angeordneten Flügel gegenseitig, sodass diese eigenstabil im Bodeneffekt fliegen können. Und das ohne komplexe Flugsteuerungssysteme. Es ist diese Technologie, mit der das deutsche Startup Tandairium aus Frankfurt am Main nun erfolgreich sein möchte. Gemeinsam mit Mitgründer Guido Steinbach hat Dipl.-Ing. Reiner Jörg die Idee seines Vaters aufgegriffen – und die nach eigenen Angaben erste Bodeneffekt-Drohne der Welt gebaut.

Genau wie die meisten anderen Komponenten besteht auch der hintere Flügel aus einem leichten und robusten Verbundwerkstoff
Die TW4 Cargo erinnert optisch eher an ein Rennboot denn an eine fliegende Drohne. Kein Zufall, denn auch wenn das UAS theoretisch über festem Untergrund unterwegs sein könnte, so ist ihr primäres Einsatzgebiet doch das Wasser. Oder besser gesagt: Kurz über dem Wasser. Und auch nur dort. Denn anders als Bodeneffektfahrzeuge mit einer Flügelfläche, die den Bereich des Bodeneffekts verlassen und wie ein „normales“ Flugzeug unterwegs sein können, funktioniert die von Günther Jörg erdachte Tandemflügel-Konstruktion nur, solange der Bodeneffekt für Auftrieb sorgt. Nach dem Start wird die etwa 4,3 Meter lange und 1,6 Meter breite Drohne durch die Beschleunigung so aus dem Wasser gehoben, dass sich ein unsichtbares Luftpolster zwischen den beiden Tandem-Flügeln und der Wasseroberfläche bilden kann. Die Luft unter der Drohne wird komprimiert, sodass die Auftriebswirkung steigt und gleichzeitig der Widerstand im Vorwärtsflug sinkt. Dieses als Bodeneffekt bezeichnete physikalische Phänomen wirkt am stärksten, wenn das UAS in einer Höhe von 30 Prozent der Flügeltiefe über dem Wasser fliegt. Bei der TW4 Cargo bedeutet das eine Reiseflughöhe zwischen 20 und 40 Zentimetern, die sie bei Windgeschwindigkeiten bis zu 40 Kilometern pro Stunde und moderaten Wellen bis etwa 30 Zentimeter Höhe stabil halten kann. Bei einer Höchstgeschwindigkeit von mehr als 100 Stundenkilometern liegt die optimale Reisegeschwi1ndigkeit nach Herstellerangaben zwischen 80 und 100 km/h. Bis zu 60 Kilometer soll die Reichweite laut Tandairium dann betragen.
Enorme Tragkraft
Grundlage für diese Leistungswerte sind neben der Unterstützung durch den Bodeneffekt vor allem konzeptionelle Optimierungen, mit denen Reiner Jörg die Idee seines Vaters weiterentwickelt und in die Welt der unbemannten Systeme übertragen hat. Zudem wurden auch bei Materialien und Antriebstechnologien in den vergangenen Jahrzehnten natürlich enorme Fortschritte erzielt. So besteht die Drohne in großen Teilen aus genauso robusten wie leichten Carbonfaser-Verbundwerkstoffen. Bei einem Leergewicht von 45 Kilogramm kann die TW4 Cargo bis zu 40 Kilogramm Payload transportieren. Und nach Angaben von Tandairium ist das gesamte Konzept in der Größe skalierbar, sodass bei entsprechenden Abmessungen Nutzlasten von nahezu einer Tonne grundsätzlich möglich wären.

Die beiden Flügel sind so platziert angebracht, dass unterhalb der Drohne zusätzlicher Auftrieb entsteht
Doch es ist nicht nur die Tatsache, dass das UAS fast sein eigenes Gewicht als zusätzliche Payload tragen kann, die potenzielle Nutzerinnen und Nutzer überzeugen soll. Einige wesentliche Vorteile des Systems liegen in dessen konzeptioneller Auslegung begründet. Und dürften die Drohne insbesondere für militärische Missionen, in Sachen Grenzschutz und zur Sicherung kritischer Infrastruktur auf See zu einem interessanten Tool machen. Denn dank der geringen Flughöhe und der kompakten Bauweise ist die TW4 Cargo gewissermaßen im „Stealth-Modus“ unterwegs. Der leise Elektroantrieb lässt sich von den Umgebungsgeräuschen nur schwer unterscheiden, im Flug können gegnerische Einheiten auch keine Sonarortung vornehmen, da die Drohne keinen Kontakt zum Wasser hat. Die geringe Flughöhe führt zudem zu einer geringen Radarsignatur und auch die thermische Detektion ist kaum möglich. Hinzu kommt die sogenannte Dual-Operator-Funktion. Während ein Pilot oder eine Pilotin mithilfe der FPV-Kamera am Bug das System steuert, kann jemand anderes – gegebenenfalls sogar von einem anderen Ort aus – die Payload-Sensorik steuern und beispielsweise nach feindlichen Kräften oder unkooperativen Drohnen Ausschau halten.
Farbtupfer
Mit der Rückbesinnung auf eine seit Jahren bekannte, aber eben nur selten genutzte Technologie hat das Startup Tandairium die Drone-Economy um einen interessanten Farbtupfer bereichert. Und könnte damit durchaus eine eigene Nische besetzen. Denn mit Blick auf die Sicherung von Küstenregionen sowie Aufklärungsmissionen in militärischen Konflikten, die Versorgung von Offshore-Windparks oder auch den klimaschonenden Warenverkehr auf großen Binnengewässern ist der Bedarf an neuen Technologien und innovativen Konzepten groß. Und so könnte das, was vor gut 50 Jahren entwickelt wurde, mit den Möglichkeiten von heute die Welt tatsächlich ein klein wenig verändern.
Mit Material von Tandairium