Last-Mile-Delivery
Nur knapp 900 Meter liegen zwischen der Koerschulte GmbH und dem Unternehmen Hotset in Lüdenscheid. Eigentlich ein Katzensprung. Doch seit der Sprengung der Talbrücke Rahmede und der damit verbundenen Vollsperrung der A45 ist eine Werkzeug-Lieferung von Koerschulte zu Hotset eine zeitraubende Angelegenheit. Per Lieferdrohne wird hier ab sofort Abhilfe geschaffen. Eine Genehmigung des Luftfahrt-Bundesamts für den BVLOS-Betrieb in der Risikoklasse SAIL III macht es möglich.
Von Jan Schönberg
Es könnte „ein wichtiger Meilenstein“ für die Drone-Economy sein, findet Dr. Gerald Wissel, Vorstandsvorsitzender des Branchenverbands UAV DACH. Ein Superlativ, der jedoch nicht aus der Luft gegriffen ist. Denn im Koerschulte-Drohnen-Logistik-Service, der künftig bis zu 80 Mal täglich im nordrhein-westfälischen Lüdenscheid unterwegs sein soll, vereinen sich viele Stärken, auf die die gesamte UAS-Branche setzt. Da wären zunächst natürlich die Zeitersparnis und ein nachhaltigerer Transportbetrieb verglichen mit der bisherigen Auslieferung per Lieferwagen. „Lüdenscheid ist deutschlandweit aktuell leider vor allem als Stadt des Verkehrschaos bekannt“, sagt Norman Koerschulte, Geschäftsführer der Koerschulte Group mit Blick auf das enorm erhöhte Pkw- und Lkw-Aufkommen infolge der A45-Sperrung. „Umso mehr freue ich mich, dass wir jetzt unsere Drohnen-Airline ausbauen können, die über viele Probleme schlicht hinweg fliegt.“
Freude und Erleichterung
In die Freude dürfte sich auch eine gehörige Portion Erleichterung gemischt haben, dass ein jahrelanger Prozess nun ein gutes Ende gefunden hat. Denn man hat in Lüdenscheid nicht nur etwa zwei Jahre darauf hingearbeitet, den Regelbetrieb aufnehmen zu können. Schon Jahre zuvor hatte man getestet, erprobt und mit einer Genehmigung der Landesluftfahrtbehörde in Nordrhein-Westfalen sogar umgesetzt. Doch Veränderungen in den Regelungsvorgaben und der Wechsel der zuständigen Genehmigungsbehörde – NRW ist eines von neun Bundesländern, die die entsprechenden Zuständigkeiten an das Luftfahrt-Bundesamt (LBA) abgegeben haben – setzte dem bereits aufgenommenen Flugbetrieb ein vorläufiges Ende. Es folgten zwei weitere Jahre der intensiven Vorbereitungen und engen Abstimmungen mit dem LBA.
Die Auriol-Drohne von Third Element Aviation (3EA) kann eine Payload von 6,5 Kilogramm Gewicht über einen Zeitraum von 45 Minuten transportieren
Der Testbetrieb, in den unter anderem Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt Drone4Parcel5G eingeflossen sind, sowie das erarbeitete Betriebskonzept überzeugten das LBA schlussendlich. Möglich machte die Betriebsgenehmigung für einen BVLOS-Betrieb in der speziellen Kategorie und gemäß Specific Assurance and Integrity Level III (SAIL III) dann aber schlussendlich im Grunde die europäische Flugsicherheitsagentur EASA. Diese hatte Ende Oktober 2023 eine zusätzliche Klarstellung (ED Decision 2023/012/R) zu Acceptable Means of Compliance und Guidance Material bezüglich der „Drohnenverordnungen“ 2019/945 and 2019/947 veröffentlicht. Darin heißt es, dass die für eine Betriebsgenehmigung in der speziellen Kategorie zuständige nationale Behörde für Missionsprofile unterhalb der Risikoklasse SAIL IV den Einsatz von Drohnen akzeptieren könne, die nicht per Design Verification Report (DVR) von der EASA zertifiziert sind. Nichtsdestotrotz muss von Antragstellern – gegebenenfalls gemeinsam mit dem UAS-Hersteller – schlüssig dargelegt werden, dass das einzusetzende Fluggerät die technischen OSO-Vorgaben (Operational Safety Objectives) der EASA erfüllt.
Automatisiert
Daher kann nun eine Auriol-Transportdrohne des Bielefelder Unternehmens Third Element Aviation (3EA) automatisiert zwischen Werkzeuggroßhändler Koerschulte und Heizungsanlagenbauer Hotset hin und her fliegen und dabei bis zu 8 Kilogramm an „Payload“ befördern. „In der Luft liegt die Zukunft der Logistik. Die letzte Meile ist wegen der vielen Straßen, Baustellen und Tempolimits immer die teuerste und komplizierteste. 50 Meter darüber ist alles frei“, sagt Marius Schröder, CEO von 3EA.
Der Leitstand von HHLA Sky ermöglicht die Überwachung von vielen parallel agierenden UAS durch wenige geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Eine wichtige Voraussetzung für wirtschaftlich tragfähige Geschäftsmodelle, die auf Drohneneinsatz basieren
Entscheidend zur Wirtschaftlichkeit des Vorhabens – derzeit entsprechen die für Kunden anfallenden Kosten denen der straßengebundenen Zustellung – trägt das Integrated Control Center (ICC) bei. Der von HHLA Sky entwickelte Leitstand ermöglicht die Kontrolle mehrerer UAS gleichzeitig durch einen speziell geschulten Fernpiloten. Das Prinzip „one to many“ ist die Basis dafür, das Geschäftsmodell Koerschulte-Drohnen-Logistik-Service wirtschaftlich tragfähig skalieren zu können. Und nichts anderes ist das Ziel.
Serviceangebot
Auf Basis der aktuellen Betriebsgenehmigung können zunächst einmal weitere Zielpunkte in Lüdenscheid ergänzt werden. Auch die – zeitlich befristete – Belieferung von Großbaustellen ist denkbar. Es muss lediglich die jeweilige Flugroute evaluiert und vom LBA genehmigt werden, da das grundsätzliche Betriebskonzept ja schon abgenommen wurde. Darüber hinaus möchte man das Ganze als Servicedienstleister auch anderen Handelsunternehmen zugänglich machen. Die erprobte Technologie sowie die gewonnenen Erfahrungswerte mit behördlichen Genehmigungsprozessen könnten sich so mehrfach auszahlen. Und selbst die zentrale Flugüberwachung aus dem eigenen Leitstand in Lüdenscheid wäre denkbar. Und das wäre dann wirklich ein Meilenstein für die Drone-Economy in Deutschland.
Fotos: Koerschulte GmbH, HHLA Sky, 3EA